Im Volltext: Die Rede von Martin Körner in der Generaldebatte Wohnen 2018

Veröffentlicht am 15.06.2018 in Gemeinderatsfraktion

Am 14. Juni 2018 fand im Gemeinderat der Landeshauptstadt die Generaldebatte Wohnen statt. 3,5 Stunden wurde über dieses wichtige Thema diskutiert. Im Folgenden der vollständige Text der Rede, die unser Fraktionsvorsitzender Martin Körner dort gehalten hat. 

Als Video finden Sie seinen Beitrag hier.

Es gilt das gesprochene Wort.

Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Frau Fezer, meine Herren Bürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren,

eine Kollegin von mir sucht eine Wohnung in Stuttgart, wohnt momentan in Mannheim, fährt jeden Tag mit dem Zug nach Stuttgart und es wird eine Wohnung angeboten, 80 m2, in der Innenstadt, 1.200 € kalt. Die Anbieterin erhält innerhalb von zwei Tagen 300 Mails, 300 Interessenten. 20 werden eingeladen, sie ist eine davon, zu einem Mietvertrag kommt es nicht. Die Angebotsmieten in Stuttgart, das sind die Mieten bei neu abzuschließenden Mietverträgen, liegen mittlerweile bei 13 - 14 €, der Mieterverein hat im Dezember 2016 ausgewertet die Innenstadt bei 14 €. Was heißt das für ganz normal verdienende Männer und Frauen? Im Wohnungsmarktbericht des letzten Jahres ist von einer Mietbelastungsquote von 25,9 % die Rede. Das heißt, ungefähr ein Viertel der Nettoeinkommen, der durchschnittlichen Nettoeinkommen würden für die Miete draufgehen, das sind aber die Bestandsmieten. Wenn ich eine Wohnung neu suche, und die Situation ist wie die, die ich gerade beschrieben habe, dann muss ich als Normalverdiener mittlerweile fast 50 % meines Nettoeinkommens aufwenden. So, und das können sich normale Menschen nicht mehr leisten. So einfach ist das. Das ist die Realität in Stuttgart im Juni 2018. Was ist mit den Bestandsmieterinnen und -mietern hier in Stuttgart. Ich möchte zwei weitere Beispiele nennen.

Szenenwechsel, Frühjahrsfest, Bürger- und Obstbauverein Heslach. 3 ältere Frauen sitzen am Tisch, über 70, Rentnerinnen, alte Heslacherinnen. Die eine Dame erzählt, sie sucht eine 1-Zimmer-Wohnung, sie wohnt seit vielen Jahren in einem großen Haus, das Haus ist verkauft worden. Die Frau hat Angst, sie hat Angst, dass sie sich die Wohnung nicht mehr leisten wird können. Dass das Haus verkauft ist, vielleicht Eigenbedarf geltend gemacht wird und sie hat Angst, überhaupt noch etwas Bezahlbares zu finden. Es gibt aber auch, Herr Oberbürgermeister, Sie haben das am Anfang, und das fand ich richtig, auch gesagt, andere Beispiele. Eine andere ältere Frau aus Ostheim, mit der ich gestern telefoniert habe, die ich gut kenne, wohnt bei einer Wohnungsbaugenossenschaft, beim Bau- und Heimstättenverein. Das Gebäude wird saniert, sie wird umgesetzt ins Nachbargebäude, wo schon die Sanierung stattgefunden hat und sie ist sehr zufrieden. Sie zahlt 8,40 € auf den Quadratmeter. Sie kann sich die Wohnung leisten, die kostet 500 €. Aber sie ist froh, weil sie hat keinen Mietvertrag, sie hat ein Dauernutzungsrecht bei einer Wohnungsbaugenossenschaft. Ich könnte auch von einer Familie Körner-Mohr sprechen, die eine sehr soziale Vermieterin hat und bei der wir Glück hatten und vor 10 Jahren einen Mietvertrag unterschrieben haben, der bis heute nicht erhöht worden ist. Das gibt es auch, soziale Vermieterinnen und Vermieter. Es gibt aber auch andere Beispiele.

Nochmal Szenenwechsel: Ein Ehepaar, Anfang 60, kenne ich gut, gutverdienend, jetzt im Ruhestand, kaufen sich im Parkquartier Berg vor über 10 Jahren eine Eigentumswohnung, damals sehr teuer. Herr Föll, Sie wissen das gut, die SWSG war mit dabei, Parkquartier, wo die Frauenklinik war. War Ihr Vorgänger, ok, aber wir können uns das alle vorstellen. Diese Wohnung, ich habe die beiden jetzt wieder kürzlich getroffen, ich war bei Wohnungssuchenden, bei Bestandsmieter, jetzt bin ich bei Eigentümern. Die Wohnung ist mittlerweile doppelt so viel wert. Doppelt so viel wert. Letztes Beispiel: Raiko Grieb, BV Süd: Junge Familie, 2 Kinder, suchen etwas im Eigentum in der Stuttgarter Innenstadt. Es gelingt ihnen nicht, seit vielen Jahren. Weil Kaufpreise von 800.000 € aufgerufen werden.

Also, wir haben ein Problem. Herr Oberbürgermeister, zum Jahreswechsel war ein Interview in der Zeitung, da war die Überschrift, so kann es in Stuttgart nicht weitergehen. Stuttgart braucht einen Aufbruch in der Wohnungspolitik. Das was die Stadt tut ist eindeutig zu wenig. Woanders läuft es deutlich besser und das war nicht mein Interview. War auch nicht Ihr Interview, logischerweise nicht. Es war ein Interview des katholischen Stadtdekans, Monsignore Dr. Hermes. So, das ist seine Bilanz der Wohnungspolitik. Und da muss doch irgendwie ein Nachdenken stattfinden, dass vielleicht angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, dass was Sie bisher in diesem Bereich getan haben, vielleicht zu wenig ist, und wir einen Aufbruch in der Stuttgarter Wohnungspolitik auf den Weg bringen.

Jetzt, wie habe ich Ihre Wohnungspolitik in der jüngsten Vergangenheit wahrgenommen? In den letzten Interviews, die ich gelesen habe, und Sie haben es heute ein bisschen anders formuliert, haben Sie sich dafür entschieden, gegen den Neubau zu polemisieren, ich kann das nicht anders sagen. Sie haben formuliert, wenn ich am Montag 10.000 Wohnungen hätte, oder Mittwoch verkauf ich sie, habe ich am Freitag wieder Wohnungsnot. Neubau, 10.000 Wohnungen, bringt gar nichts. Das haben Sie in Interviews reihenweise erzählt. Herr Oberbürgermeister, das ist eine Aussage, die aus meiner Sicht nicht nur falsch ist, weil, wenn Sie zehntausend Wohnungen haben, bekommen 25.000 Menschen eine Wohnung, die sie heute nicht bekommen. Und wenn sie auch noch in unserer Hand ist, können wir auch noch dafür sorgen, dass sie vernünftig zu fairen Preisen vermietet wird. Aber sie ist vor allem politisch brandgefährlich, diese Aussage, weil all die vielen Beispiele, die aufgerufen wurden vom Kollegen Kotz, aber auch andere, wo es auch Probleme gibt, haben doch auch damit zu tun, dass in vielen Bereichen der Stadtgesellschaft jedes neue Bauprojekt abgelehnt wird, und dass in vielen Bereichen der Stadtverwaltung, sagen wir mal - die Notwendigkeit von Neubau im Vergleich zu anderen Dingen doch eher negativ gesehen wird. So. Und dann stellt sich die Spitze dieser Stadtgesellschaft und dieser Stadtverwaltung hin und sagt: Der Neubau, das bringt gar nichts. Ob ich 10.000 Wohnungen habe oder nicht, das bringt doch gar nichts. Das halte ich für hochproblematisch.

Und für die SPD-Fraktion ist völlig klar: Wir müssen uns von einigen liebgewonnenen Positionen verabschieden. Wir können z. B. nicht in dem Maß wie bisher gegen den Flächenverbrauch kämpfen, denn wir brauchen viele neue Wohnungen. Daran führt kein Weg, letzter Satz, daran führt kein Weg dran vorbei. Es ist kein Zitat von mir, das ist ein Zitat des Ministerpräsidenten dieses Landes, und ich frage mich, warum da die grünen Kolleginnen und Kollegen nicht klatschen, denn wir müssen uns von einigen liebgewordenen Positionen verabschieden. Und an vielen neuen Wohnungen führt kein Weg daran vorbei. Das heißt für uns als SPD, innen, Herr Oberbürgermeister, und außen. Außen heißt, ja zum Neubau an Langenäcker-Wiesert. Haben wir gemacht, durchgesetzt gegen viele Gegenstimmen. Ja zum Neubaugebiet Schafhaus. Und, ich war ja dabei in der Bürgerversammlung in Mühlhausen, Herr Oberbürgermeister, wo Sie dazu gesprochen haben. Und ich muss ganz ehrlich sagen, wenn Sie jetzt hier anfangen, außen Noten zu verteilen an die Gemeinderäte, wie sie vor Ort agieren, dann würde ich zumindest einmal auch ein Fragezeichen da machen, wie Sie ab und zu auch vor da agieren. Und Kollege Kotz hat ja zum Schafhaus alles gesagt. Und der Hinweis auf die Region ist richtig. Aber mir hat noch niemand erklären können, warum sich die GRÜNEN für Neubauwohnungen auf der grünen Wiese in der Region starkmachen, aber nicht am Siedlungsrand der Landeshauptstadt Stuttgart. Also, sorry, das verstehe ich nicht.

Und, es ist auch ein Irrglaube, Herr Oberbürgermeister, dass das Ja zur Innenentwicklung nicht auch etwas mit dieser Stadt machen würde. Wir haben uns als SPD eindeutig für die Innenentwicklung ausgesprochen. Das Projekt Hallschlag, die SWSG, Frau Kollegin Fischer hat das aus meiner Sicht sehr treffend und gut beschrieben, die SWSG ist ein zentraler wichtiger Partner, wichtiges Instrument für die Stadt, macht hervorragende Arbeit, hat im Hallschlag eine Nachverdichtungsstrategie, die ihresgleichen sucht. Es ist mir ein Rätsel, Herr Kollege Adler, warum sich die LINKE gegen ein solches Weiterentwicklungsprojekt par excellence auf dem Hallschlag stemmt. Wir haben als SPD Hausbesuche gemacht in der Keltersiedlung, weil dort nach der Nachverdichtung doppelt so viele Wohnungen sein werden als vorher, und erstmals auch Sozialwohnungen. Auch da konnte ich die Haltung aus der linken Fraktionsgemeinschaft kaum nachvollziehen. Aber, Herr Oberbürgermeister, der Fasanenhof wurde angesprochen, ein schönes Beispiel, wenn wir es nicht schaffen, ein gewinnendes, überzeugendes, positives Nachverdichtungskonzept auf den Tisch zu legen, um die Menschen davon zu überzeugen, werden wir auch dort scheitern. Warum? Weil wir die Menschen nicht davon überzeugen, in ihrer Nachbarschaft müssen es jetzt ganz viel mehr Wohnungen sein mit dem Argument, wir brauchen die unbedingt. Damit überzeugen wir die nicht. Wir können sie nur mit einem gewinnenden, überzeugenden Nachverdichtungskonzept erreichen. Und das ist aus unserer Sicht z. B. die Idee einer Fünf-Minuten-Stadt, weil wir, wenn wir diese Idee haben, und wir haben sie ja bei der Generaldebatte Mobilität eingeführt, dass wir in fünf Minuten beim Einkaufen sein können, in fünf Minuten bei der Haltestelle, in fünf Minuten bei der Großmutter in der Pflege um die Ecke. Auch Dichte brauchen. Urbanität brauchen.

Aber Urbanität, Herr Oberbürgermeister, ist auch etwas, wo wir in den einen oder anderen Außenbezirken viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Und ich freue mich, wenn nach dem Sommer endlich das Dichtekonzept auf dem Tisch liegen sollte. Aber vor zwei Jahren steht im Ergebnispapier des Bündnisses für Wohnen: Au ja, wir arbeiten da an einem Dichtekonzept. Das ist das Ergebnis aus dieser Arbeitsgruppe des Bündnisses für Wohnen. Und wenn jetzt, über zwei Jahre später, dort tatsächlich etwas kommen könnte, freue ich mich. Aber aus meiner Sicht dauert so etwas viel, viel zu lang. So überzeugend sind auch Innenverdichtungskonzepte wie das Wohnen am Fluss, weil das Konzept Stadt am Fluss, auf das wir alle stolz, was gut ist, hat ja den Mangel, dass es das Wohnen am Fluss bisher überhaupt nicht beinhaltet. Also, Machbarkeitsstudien, im Übrigen, mit Verlaub, auf Antrag der SPD ja auch beschlossen als Begleitmaßnahme zum Rosensteintunnel, liegt vor. Lassen Sie uns das Projekt anpacken. Es ist ambitioniert da unten, die B 10 zu überdeckeln, ggf. sogar zu verschränken und dort neu Wohnungsbau zu machen. Aber, Herr Oberbürgermeister, Sie haben bei einer Veranstaltung in den Wagenhallen zur Internationalen Bauausstellung gesagt, da muss es Projekte geben, die die Welt noch nicht gesehen hat. Das ist der Maßstab. Und das ist dann auch der Maßstab für dieses Projekt Wohnen am Fluss. Und so etwas, mit so etwas gewinnen wir die Menschen für die Nachverdichtung und für mehr neue Wohnungen in Stuttgart. Das Rosensteinquartier ist angesprochen worden. Frau Kollegin Fischer, ich habe Ihre Argumentation schon oft gehört, nach dem Motto, wir könnten da schon längst Wohnungen haben so mit den Zügen links und rechts am Küchenfenster vorbei. Ich weiß nicht, ob das so tolle Wohnungen gewesen wären. Fakt ist, wir bekommen eine Riesenchance mit der Entwicklung dieses Gebiets, und, Frau Fischer, da sind wir uns ja einig, aus der Chance müssen wir was machen. Und deswegen schlagen wir vor, dass bei dieser Fläche wir nicht den Grund und Boden den Gesetzen des Marktes überlassen, sondern dass wir nach Wegen suchen, dass nachhaltig eine gemeinwohlorientierte Nutzung dieser Flächen möglich ist. Da geht es um die Bodenfrage. Und das ist eine wichtige Frage für uns.

Und lassen Sie mich schließen, weil das wichtig ist für die Wohnungspolitik, mit einem Zitat. Das ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1967 und greift ein bisschen das auf, Herr Oberbürgermeister, was Sie am Beginn gesagt haben von dem sozialen Vermieter. Das darf ich vorlesen: 'Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen.' Eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern. Das Gebot sozial gerechter Nutzung ist aber nicht nur eine Anweisung für das konkrete Verhalten des Eigentümers, darüber haben wir gesprochen, sondern in erster Linie eine Richtschnur für den Gesetzgeber bei der Regelung des Eigentumsinhalts, das Wohl der Allgemeinheit zu beachten.

Letzter Satz: Es liegt hierin die Absage an eine Eigentumsordnung, in der das Individualinteresse den unbedingten Vorrang vor den Interessen der Gemeinschaft hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

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